Das Reisen hat wohl einen echten Sinn im Leben für die, die noch suchen. Denn für die, die den Sinn im Leben bereits gefunden haben, braucht es eigentlich keine Reise mehr. Warum?
Reisen haben etwas Wunderbares. Neue Wege zu gehen, neue Straßen zu fahren, neue, wunderschöne Orte zu entdecken – was kann es da noch Schöneres geben? Ich weiß es. Und doch möchte ich den Wert einer Reise nicht schmälern – ihren Sinn nicht begraben.
Reisen alleine zu unternehmen ist wichtig für Heranwachsende. Die erste Reise – der erste Schritt ohne Hilfe der Eltern – ist wichtig. Er ist wichtig für das Kind, denn es erkennt, ich kann diese so lange, so kompliziert scheinende, fast unlösbare Aufgabe bewerkstelligen: Diesen Körper in rhythmischer Bewegung – ohne Zuhilfenahme von vier Gliedmaßen – allein mit zwei Beinen bewegen. Großartig sind sie – diese ersten eigenen Schritte – für den der sie schafft und für die, die dabei zuschauen. Fast magisch werden sich alle Beteiligten viele Jahre daran erinnern und davon erzählen. Von der ersten eigenen Reise auf zwei Beinen.
Oder der erste Weg eines jeden Kindes (eine weitere Reise also) alleine in den Kindergarten oder die Grundschule zu gehen. Je nachdem, ob und wann die Eltern es geschafft haben, dem Kind zu vertrauen – es loszulassen für seinen eigenen Weg – beginnt dieser früher oder später. Ein Weg, der so viel Selbstvertrauen schaffen soll und kann – und es auch tut, wenn Eltern dem Kind im richtigen Moment das Vertrauen schenken. Klar besteht hier ein gewisses Risiko – egal, ob die Familie in der Stadt oder auf dem Land wohnt. Aber dennoch ist es ein wichtiger Beweis für das Kind und die Eltern, dass Vertrauen ein wesentlicher Bestandteil im Leben ist. Und ja, auch kleine Kinder können ein rotes von einem grünen Ampelmännchen unterscheiden. Und ja – soviel wissen wir auch heute – einige Eltern fahren ihr Kind noch mit dem Auto zum Gymnasium… Die Frage, ob das wohl am Kind selbst liegt und ob das gut für das Kind und das Vertrauen zwischen Eltern und Kind ist, stelle ich hier lieber nicht.
Irgendwann jedenfalls ist es für jeden Menschen an der Zeit, sich auf seine eigene Reise zu begeben. Zumindest für diejenigen Menschen wird es dann Zeit auf eine größere Reise zu gehen, die zwar in ihrem zu Hause geboren und aufgewachsen sind, dieses zu Haue aber nicht als ihr eigenes betrachten. Nicht als den Ort, an dem sie ihr eigenes Leben verbringen wollen. Nicht als den Ort, an dem sich sich auch menschlich weiterentwickeln – weiter wachsen – können.
Und so wird es wohl manchmal schwer für ein Kind, einen Jugendlichen oder einen Erwachsenen sein, sich allein auf diese so wichtige Reise zu begeben. Die Reise nämlich in ein selbstbestimmtes Leben – weg von den Eltern. Weg von den Menschen und den Dingen, die einen bisher immer begleitet haben. Weg von Unterstützung und Hilfe. Weg von den Fesseln, die einen einerseits halten und führen aber auch stets binden und nicht alleine frei sein lassen.
Allein die Welt erkunden. Allein mit anderen Menschen und in anderen Regionen dieser Welt klar kommen. Allein zurecht kommen und die Herausforderungen des Lebens bestehen – nur so wird ein Mensch zum vollkommenen Menschen. Nur so wird die Nabelschnur endlich zerschnitten werden und neues, individuelles Leben entstehen können.
Obwohl es in Begleitung, zu zweit oder in einer Gruppe viel leichter und einfacher – ja vielleicht auch schöner – erscheinen mag, ist es wohl einmal im Leben einfach wichtig, alleine zu Reisen. Alleine zu bestehen und stolz zu sein darauf, es alleine geschafft zu haben. Es ist einfach richtig, seine Kinder loszuschicken, sie nicht bis zum Gymnasium zur Schule zu fahren, ihnen nicht bis sie 30 oder 40 Jahre alt sind Geld zuzustecken. Denn die Erkenntnisse, die man aus diesen Reisen, die man alleine geschafft – alleine bestanden hat – mit nach Hause bringt sind wertvoll und wichtig für die Menschen, die bisher nicht alleine gewachsen sind oder es nicht konnten, weil man sie nicht gelassen hat.
Also reise ich in diesen Tagen allein – ohne Eva. Das ist zwar irgendwie traurig und schade, aber auch irgendwie ermunternd und schön. Weil es richtig ist. Und gerne denke ich dabei an Eva. Gerne denke ich dabei daran, endlich allein wachsen zu können und meinen Platz im Leben zu finden.
Derzeit reise ich durchs Allgäu …